Stadt vs Land: “In Wien war ich endlich Teil einer Gruppe”

Wie ist es, vom Land in die Stadt zu kommen? Was ändert sich an deiner Umgebung und deinem Denken? Und vor allem: Wie ist es, für queere Personen, das Umfeld so stark zu ändern? Adrian kam vom Land zum Studieren nach Wien und berichtet uns in seiner Geschichte von seinen Erfahrungen und den Unterschieden zwischen Stadt und Land.

Ich komme ursprünglich aus einer ländlichen Region in Süddeutschland und kam nach meinem Abitur im Sommer 2020 nach Wien, um hier Informatik zu studieren. Ich habe noch während dem ersten Lockdown meinen Umzug geplant, obwohl ich noch wenig über die Stadt wusste. Ich bin nur auf Insta verschiedenen Medien gefolgt, um ein wenig über die Stadt zu erfahren. Das Meiste habe ich aber erst durch die Locals kennengelernt. Und die Unterschiede zwischen Stadt und Land – und was mir der Umzug gebracht hat –  wurden mir auch erst im Laufe der Zeit bewusst.

Gemeinsam statt allein

Ich hab mir in Wien schnell einen Nebenjob gesucht – ich war Aushilfe in einem Kleiderladen, in dem ich auch schon in Deutschland gearbeitet hab – und hab so schnell Anschluss bei meinen Kolleg*innen gefunden. Mit einer davon bin ich immer noch befreundet. Außerdem hab ich Apps wie Tinder und Bumble genutzt, um neue Leute kennenzulernen.

Im Laufe der Zeit habe ich auch immer mehr Leute kennengelernt, die wie ich queer sind. Zuhause am Land war das ganz anders. Da war ich immer eine Minderheit. Ich bin queer und habe philippinische als auch deutsche Wurzeln. Und in Wien war ich endlich Teil einer Gruppe. Sogar im Informatik-Studium, wo ich – weil’s ein technischer Studiengang ist – damit gerechnet habe, viel mit toxic Masculinity konfrontiert zu werden.

Im Studium habe ich eine kleine enge Freundesgruppe und anfangs habe ich gezögert mich zu outen. Es hat sich herausgestellt, dass einige auch queer sind, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Später gab es von der FH aus sogar ein Queer-Treffen, wo ich gewisse bekannte Gesichter wieder gesehen habe und im Endeffekt sehr positiv darüber überrascht war, wie bunt wir doch alle sind und wie viele von uns mir eigentlich die ganze Zeit über den Weg laufen. Endlich habe ich mich nicht alleine gefühlt.

Support statt wegschauen

Der Umgang damit ist in der Stadt ganz anders als am Land. Gerade am Land kam es immer wieder vor, dass Leute in meiner Umgebung homophobe Aussagen von sich gegeben haben. Zum Beispiel in der Schule, da gab’s nur überhaupt nur ein Mädchen in der Klasse und als einzige Person traute ich mich nicht, etwas dagegen zu sagen.

In Wien ist das jetzt anders. Ein Beispiel: Ich bin in einer Semester-WhatsApp-Gruppe. Hier kommt’s manchmal vor, dass Leute Shit posten. Einer hat schwul als Beleidigung verwendet, woraufhin ein anderer ihn darauf hingewiesen hat, dass er sowas nicht bringen soll. Und der hat das auch direkt verstanden und sich noch in der Gruppe entschuldigt.

Zum Vergleich: In meiner alten Klasse kam das auch vor und nur eine Lehrerin von mir ist da eingeschritten und die ist auch queer. Der Typ, der solche Aussagen getätigt hat, war bei ihr dann zwar still, aber in den anderen Fächern, hat er es dann aber trotzdem weiter gemacht. Ich bin sehr dankbar für alle Leute, die hier einschreiten.

Echte Akzeptanz statt kaum Toleranz

Das ist aber nicht nur bei homophoben Aussagen der Fall, sondern auch im Alltag. Daheim habe ich mich bei Freund*innen geoutet und auch wenn mich niemand direkt beleidigt hat, haben andere so davon erfahren und ich wurde gemobbt. Ein anderer Freund hat mich komplett gedroppt, weil er Angst hatte, andere könnten denken, er wäre auch queer.

Und selbst bei Leuten, bei denen ich out war, konnte ich teilweise nicht offen über Dates reden. Wenn wir uns in einem Café getroffen haben, habe ich bemerkt, dass sie sich sofort umschauen, ob das wer hört, und dass es ihnen unangenehm war. Diese Erfahrung hab ich in Wien nie gemacht.

Wenn ich mich hier mit jemandem in einem Café treffe, kümmert es die Person nicht, dass jemand zuhören könnte. Es kümmert sie nicht, was andere darüber denken. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass ich in Wien viel mehr Allies kennengelernt hab. Und vielleicht auch daran, dass die Leute hier ganz anders über bestimmte Themen denken und reden.

Offen für Veränderung statt am Alten festhalten

Generell hab auch ich mich schon ziemlich verändert in der Zeit und vor allem mein Denken hat sich sehr weiterentwickelt. Aber daheim am Land, sind die Leute genau gleich geblieben. Ich hab das Gefühl, dort gibt es nur einen Horizont, nur eine Zukunftsvorstellung. Man kriegt einen Job bei der einen großen Firma im Ort, heiratet, baut ein Haus und so weiter.

Außerdem hab ich das Gefühl, dass über viele Sachen nicht geredet wird. Zum Beispiel über psychische Probleme und das ist in Wien ganz anders. Da reden die Leute sehr offen darüber, während das am Land immer noch das volle Tabu ist. Und auch bei Fragen rund um Diskriminierung. Da herrscht einfach ein viel größeres Bewusstsein vor.

Das hat auch bei mir dazu geführt, dass ich wesentlich selbstständiger geworden bin und jetzt anders über Dinge nachdenke. Ich habe auch angefangen, mich über Themen zu informieren, die mich eigentlich gar nicht direkt betreffen, aber dennoch sehr wichtig für die Gesellschaft sind und eine gewisse Sensibilität mit sich bringen. Somit kann ich auch meinen Freund*innen helfen, denn auch die meisten von ihnen sind in der Lage, sich selbst zu informieren oder zuzuhören.

Guter Rat: Entspannt statt erzwungen

Wenn man jetzt also vom Land in die Stadt zieht, kann man sich auf einige positive Veränderungen einstellen. Aber ich glaube, man muss das nicht erzwingen. Man muss zum Beispiel nicht auf Krampf neue Leute kennenlernen, sondern sollte vielleicht eher die Zeit nutzen, zu lernen, Sachen auch alleine zu schaffen, und alleine zu sein. Man sollte versuchen, sich selbst kennenzulernen und auf sich selbst zu achten.

Und ich finde, man darf schon auch stolz auf sich selbst sein. Du hast den Schritt gewagt, auszuziehen und in die Stadt zu kommen. Das ist ein wichtiger Schritt. Und danach kann man nach und nach versuchen, Anschluss zu finden. Zum Beispiel durch Studium und Arbeit. Man muss schon auch versuchen, sich selbst zu integrieren, indem man neue Hobbys anfängt oder eben weiter ausübt, wo man leicht mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Meistens ist man eh nicht die einzige Person, die dort zum ersten Mal ist.

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