How to Hörsaalbesetzung: Eine Besetzerin an der Uni Wien erzählt

Wie besetzt man eigentlich einen Hörsaal? Und warum? Und was sollte man überhaupt dabeihaben? Wir haben mit einer Besetzerin von Erde Brennt darüber gesprochen.

Bis einschließlich heute, dem 12. Dezember hat Erde Brennt einen Hörsaal an der Uni Wien besetzt gehalten. Wir haben letzte Woche mit Zora, einer der Besetzer*innen vor Ort gesprochen und sie gefragt, worauf man bei einer erfolgreichen Besetzung eigentlich achten muss, was das Ziel dahinter ist und was man so eigentlich im Hörsaal die ganze Zeit macht.

Captain Campus: In welchem besetzten Hörsaal sitzt du gerade?

Zora: Ich sitz gerade in der Aula der Uni Wien unter den Stufen, weil im Hörsaal Leute lernen. Die will ich nicht stören.

Wie lange bist du schon dort?

Nicht durchgängig natürlich, aber seit Tag 1: Mittwoch, dem 16. November.

Weil du sagst: “nicht durchgängig” … Seid ihr eigentlich auch nachts im Hörsaal?

Ja, bei uns schlafen immer mindestens zehn Leute, meistens 20 bis 30, sonst könnten sie ja auch einfach den Hörsaal zusperren. Es ist aber wichtig, regelmäßig heimzufahren und auf sich selbst zu achten. 

Wie lange bleibt ihr denn dann so am Stück im Hörsaal? Auch über 24 Stunden?

Ja. Ich bin jetzt gerade schon über 48 Stunden hier und heute fahr ich heim. Wir haben uns auch die Regel ausgemacht: Maximal zwei mal hier schlafen. Aber viele Leute kommen auch nur für den Tag, arbeiten hier und fahren dann am Abend wieder. 

Von den Professor*innen hab ich aktuell nur enorm viel Zustimmung und Rückhalt bekommen.

In den letzten Tagen ist recht viel passiert, deshalb frag ich nochmal nach: Welche Hörsäle besetzt ihr gerade? 

Einen an der Uni Wien, vor dem ich gerade sitz, einen an der Uni Salzburg. Es gibt eine Besetzung an der Uni Innsbruck, die Akademie der bildenden Küsten ist besetzt und letzte Woche wurde die Angewandte besetzt. Und die BOKU war für zwei Tage besetzt. (Anmerkung der Redaktion: Mit Veröffentlichung des Interviews wurde auch ein Hörsaal in Graz besetzt und ebenso einer an der TU Wien.)

Wie haben die Hochschulen bisher auf die Besetzungen reagiert?

Das ist recht unterschiedlich … In Salzburg hat es enorm gut funktioniert. Da hat das Rektorat schon vor der Besetzung gesagt: “Wir wollen mit euch verhandeln.” Dort haben sie sehr konkrete Forderungen ausformuliert. Die werden eben gerade verhandelt und – so wie es ausschaut – auch umgesetzt werden. Alle. 

Gab es euch gegenüber negative Reaktionen von Unis, Vortragenden oder auch anderen Studis?

Es sind natürlich nicht alle Studis damit einverstanden, aber von den Professor*innen hab ich aktuell nur enorm viel Zustimmung und Rückhalt bekommen. Und auch die Profs an anderen Universitäten solidarisieren sich und kommen her, um Lehrveranstaltungen zu halten, was auch enorm viel bringt. 

Lehrende kommen zu euch in den Hörsaal und halten LVs zu passenden Themen?

Ja, genau, zum Beispiel war ein ehemaliger Rektor der WU (Anm.: Christoph Badelt) an einer Podiumsdiskussion beteiligt.

Was passiert eigentlich so alles in einem besetzten Hörsaal? 

Wir haben Podiumsdiskussionen oder Vorträge zu uns relevanten Themen. Jetzt gerade wird einfach nur gelernt, es passiert aber auch viel Vernetzung mit anderen politischen Gruppen und wir plenieren auch dort: “Was wollen wir? Was ist gut gelaufen? Was machen wir morgen?” Und wir schauen auch manchmal Filme, zum Beispiel Dear Future Children, den wir am Anfang gestreamt haben. Sogar legal! (lacht)

Was war bisher dein persönliches Highlight der Hörsaalbesetzung?

An einem Sonntagabend war eine Drag-Show bei uns. Und die war umwerfend! Ganz am Ende stand jemand von den Veranstalter*innen mit einer Pride Flag vorne und hat die geschwenkt und das war so empowernder Moment! Und das fehlte bisher auch, die Queernes, die auch so relevant ist und viel mehr diskutiert werden sollte.

Wie kam es überhaupt zu der Idee, einen Hörsaal zu besetzen?

Wir sind Teil von End Fossil, das ja gerade weltweit um sich geht. Der Hintergrundgedanke: Wir wollen nicht weiterstudieren für eine Welt ohne Zukunft. In der Politik wird viel geredet, und viel Greenwashing betrieben, ohne dass etwas besser wird. Deshalb haben wir gesagt: “Wir werden unseren Alltag unterbrechen und nur noch dafür arbeiten.”  

Wie viel bringt es in diesem Kontext einen Hörsaal zu besetzen? Wie viel Effekt hat es, einen Raum zu besetzen?

Erstens: Die Uni beeinflusst mit dem, was sie unterrichtet, wie Menschen denken. In der Betriebswirtschaft wird gerade nach veralteten Grundsätzen der unterrichtet, egal, ob das gesellschaftliche Nachteile hat. Aber wenn die Uni jetzt sagt: “In jedem Curriculum sprechen wir über Krisen und mögliche Lösungen”, dann bekommen viel mehr Menschen die nötige Kompetenz. Es betrifft uns alle. Und es braucht uns alle. 

Und zweitens?

Zweitens haben die Hochschulen als Institutionen ein großes Gewicht in der Gesellschaft. Sagen die, es ist wichtig, sich mit Krisen zu befassen, dann wird das Thema auch grundsätzlich als relevanter angesehen werden. Deshalb soll die Uni nicht nur unterrichten, was schlecht ist, sondern sie muss auch selbst Energie sparen und selbst demokratische Strukturen einführen.

Wie besetzt man einen Hörsaal? Kannst du uns erklären, wie das abläuft?

Es ist ganz unterschiedlich, von Uni zu Uni. Es wurde weltweit ja auch schon lange geplant. Wir an der Uni Wien (ich kann nur dafür sprechen), haben zuerst Infos gespreadet, alle in die Gruppe eingeladen und erstmal geredet. Wir haben unsere Ziele definiert und uns in verschiedene Gruppen aufgeteilt und Verantwortungen abgegeben. 

Welche Gruppen gab es da?

Eine Gruppe zum Beispiel hat die Aktion geplant. Welche Uni? Wann? Welcher Hörsaal? Und was machen wir, wenn die Polizei kommt? Eine Gruppe hat die Forderungen erarbeitet und das Narrativ. Eine Gruppe ist für die Presse verantwortlich. Ganz wichtig bei allem: Wir müssen immer wieder zusammenkommen und darauf achten, dass alle gehört werden.

Du hast gesagt, eine Gruppe hat sich überlegt, was ihr tut, wenn die Polizei kommt. Also: Was tut ihr, wenn die Polizei kommt?

Die Polizei ist eigentlich regelmäßig hier und schaut, ob alles nach Recht und Ordnung läuft. Sollte sie jetzt tatsächlich kommen und sagen: “Ihr seid aufgelöst”, dann haben wir zwei Optionen. Wir ziehen ab oder wir bleiben, weil wir noch nicht genug erreicht haben, und lassen raustragen oder verhaften.

Habt ihr schon entschieden, was ihr tun werdet?

Ja. Aber ich würds lieber nicht mitteilen.

Als Bewegung wäre es toll, wenn man Infrastruktur-Sachen anbietet. Küche und Essen. Und Snacks. Viele Snacks.

Secrets are fine. Zweite Zwischenfrage: Du sagst, ihr schaut, dass alle gehört werden; aber was macht ihr, wenn ihr nicht einer Meinung seid? Solange diskutieren, bis Konsens gefunden wird, oder …?

Wir haben tatsächlich eine Arbeitsgruppe namens Demokratieund letzten Endes ist es immer eine Trade-Off zwischen Effizienz und dem Wunsch, alle zu inkludieren. Bisher gab es auch nur wenige Vetos und es wurde auch immer ein Konsens gefunden. Aber grundsätzlich – man glaubt es nicht – sind wir eigentlich meistens einer Meinung und können die Meinung der anderen auch einsehen. Wir wollen eh das Gleiche.

Was muss man mitnehmen, wenn man einen Hörsaal besetzen will?

Ein Banner, ganz wichtig! Als Privatperson: Schlafsack, Isomatte, Zahnbürste, Wechselwäsche, Computer, Handy, Ladekabel. Dann vielleicht auch Lernsachen, wenn man länger bleiben will. Keine Waffen! Und sonst als Bewegung wäre es toll, wenn man Infrastruktur-Sachen anbietet. Küche und Essen. Und Snacks. Viele Snacks.

Wie viele Campingkocher habt ihr rumstehen?

Tatsächlich nur einen und zwar draußen, ganz brav. Aber der hat vier Herdplatten.

Kannst du irgendwelche Snacks schon nicht mehr anschauen?

Brot. Wir haben die große Unterstützung, dass für uns Essen gedumpstert und dann zu uns gebracht wird. Aber das ist eben viel Brot. Und wir essen halt den ganzen Tag Brot und am Abend wird gekocht. Und das ist dann vielleicht erst um 10 fertig. Und heute hab ich mir Nudeln gekauft, hehe. 

Angenommen, jemand unserer Leser*innen würde gern ebenfalls in Hörsaal-Besetzungsgame einsteigen, müsste die Person mit Erde Brennt bzw. End Fossil involviert sein?

Nein. Hörsaal besetzen kann man auch einfach so. Aber alle Besetzungen in Österreich haben sich bisher mit uns in Verbindung gesetzt und ich glaube, es bringt sehr viel, sich zu vernetzen.

Wie schaut die Rechtslage für Hörsaalbesetzungen aus?

Wir sind eine politische Versammlung und keine Hausbesetzung, auch wenn wir sagen, wir haben den Hörsaal besetzt. Und die muss von der Polizei aufgelöst werden. Hierbei müssen alle die Möglichkeit bekommen, den Veranstaltungsort zu verlassen. Und erst wenn diese Zeit verstrichen ist, hat die Polizei das Recht, die Versammlung durch Zwangsmaßnahmen aufzulösen. Also wegtragen zum Beispiel oder die Identität feststellen, weil eine Verwaltungsübertretung begangen wurden. Aber diese Übertretung ist nicht das Hier-Sein, sondern das Bleiben, wenn die Polizei es auflösen würde.

Ich würde mir wünschen, dass mehr über unsere Themen gesprochen wird.

Und die Polizei würde erst kommen, wenn die Uni sagt: “Machts den Laden dicht.”

Genau, entweder das. Oder wenn wir randalieren, Sachbeschädigung betreiben oder Menschen verletzen würden. Dann würde sie natürlich auch einschreiten. 

Was würdest du dir von Unis wünschen?

Dass mehr über unsere Themen gesprochen wird. Also soziale Krise, Klimakrise und Bildungskrise. Und dass es ein Teil des Curriculums wird. Aktuell sind nämlich auch viele frustriert. Wir lernen, was falsch ist, aber nicht, wie man es ändern könnte. Ich würde mir demokratischere Strukturen wünschen. Studierende sollten selbst bestimmen dürfen, was sie lernen wollen und nicht das Rektorat. Ich finde das etwas komisch, da Studieren ja per se freiwillig ist. 

Und vom Gesetzgeber?

Die Unis sind gerade … krass pleite und brauchen zusätzlich 1,2 Milliarden Euro. Ich kann in dem Kontext nur auf andere Initiativen wie Attac verweisen. Die fordern: Energiegrundbedarf für alle sichern. Außerdem: Gratis Öffis für alle. Autos raus aus den Städten. Ein Lieferkettengesetz, damit das Gefälle zwischen globalem Norden und Süden abgebaut wird. Und natürlich: Energiekonzerne, die gerade massive Gewinne machen, besteuern. Mit einer höheren Übergewinnsteuer als jetzt. Und auch Energiekonzerne kollektivieren. Es kann nicht sein, dass wenige Konzerne so viel Macht haben, wenn Energie wie Wohnen doch eigentlich ein Grundbedarf ist. 

Ihr habt Wochenende angekündigt, abzuziehen. Warum habt ihr im Endeffekt beschlossen, den Hörsaal zu räumen?

Wir sind weit gekommen und die Uni macht uns ein paar Zugeständnisse – natürlich nicht genug. Wir sind enttäuscht von der Uni, die uns nur Scheinlösungen anbietet. Außerdem hat die Uni letzte Woche begonnen, es uns kalt zu machen. Sie hat keinen Kommentar dazu abgegeben, also nehme ich an, um uns zu schwächen. Darum ziehen wir ab, erholen uns und kommen später mit neuer Energie und neuen Ideen wieder.

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