Catcalls: “Sexuelle Belästigung ist an der Uni folgenschwerer, als im Alltag.”

Catcalls und verbale sexuelle Belästigung an der Uni sind keine Seltenheit. Und sie haben fatale Auswirkungen auf betroffene Studierende. Catcalls-Aktivistin Anna Majcan über hilfreiche Stellen, Gründe für Catcalling und Verteidigungsstrategien.

In den nächsten paar Wochen richten wir bei Captain Campus unsere Aufmerksamkeit auf Gewalt gegen FLINTA an Hochschulen. Dafür haben wir mit Anna Majcan auch über das Thema der sexuellen Belästigung gesprochen. Sie studiert BWL im sechsten Semester an der Uni Graz, ist Sachbearbeiterin an der ÖH Uni Graz im Referat für feministische Politik, ist Obfrau des Vereins Catcalls of Graz und arbeitet selbstständig als Food-Stylistin und Rezept-Entwicklerin.

Wir haben im Zuge diese Reihe übrigens auch Gewaltschutzstellen in ganz Österreich für dich gesammelt, Stellen für Täter*innen ausfindig gemacht und mit dem Therapeut Michael M. Kurzmann über die Rolle von Männer bei Gewalt gesprochen.

Captain Campus: Du bist neben deiner Position im FemRef der ÖH Uni Graz auch bei Cat Calls of Graz. Magst du erklären, was Catcalls genau sind?

Anna Majcan: Catcalls sind unerwünschte, unangemessene Kommentare, Geräusche und Zurufe von meist fremden Personen. “Hey Puppe!”, oder, “Hey geiler Arsch!”, oder ein Nachpfeifen. Wichtig ist: Ein Catcall ist nie ein Kompliment. Er ist nie ein Dialog auf Augenhöhe, sondern er löst immer negative Gefühle aus und kann zum traumatischen Erlebnis werden, wodurch sich Betroffene nicht mehr an den Ort des Geschehens trauen. Kurz: Catcalls sind verbale sexuelle Belästigung. 

„Sexuelle Belästigung kann zu psychischen Beeinträchtigungen führen, zu Angstzuständen, zu Nervosität, Ess- und Schlafstörungen.“

Was unterscheidet Catcalls von einem Kompliment?

Beim Catcalling geht es oft um eine Machtdemonstration und bei Komplimenten will ich einer anderen Person ein gutes Gefühl geben. Die Frage ist also: Will ich mich gut gefühlen, weil ich meine Macht und Überlegenheit demonstriere oder will ich, dass die andere Person sich gut fühlt? Im Zweifelsfall heißt das: Wenn du dir unsicher bist, ob sich die die andere Person danach gut oder schlecht fühlen wird, mach lieber kein Kompliment.

Ein Foto der Studentin und Catcalls-Aktivistin Anna Majcan.
Die Aktivistin und Studentin Anna Majcan. © Barbara Majcan

Sind Catcalls und verbale sexuelle Belästigung auch ein Problem an Unis?

Ich habe bei Catcalls of Graz überraschend wenig in dem Kontext mitbekommen. Das kann aber auch Zufall sein. Was ich vermute: Es passiert, aber dann werden andere Stellen eingeschalten. Der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, der AKGL, zum Beispiel.

Welche Auswirkungen hat verbale sexuelle Belästigung auf Studierende? Vor allem auf ihren Alltag?

Sexuelle Belästigung kann zu psychischen Beeinträchtigungen führen, zu Angstzuständen, zu Nervosität, Ess- und Schlafstörungen. Es ist meistens ein traumatisches Erlebnis und kann sogar so weit gehen, dass man eine Leistungsstörung oder Depressionen entwickelt. Und gerade bei verbaler sexueller Belästigung trauen sich Betroffene danach oft nicht mehr an den Ort des Geschehens. Sie sagen, ihnen wird schlecht, wenn sie dorthin gehen und sie verbinden viele negative Erlebnisse damit und meiden gewisse Orte. Es hat jedenfalls starke Auswirkungen auf den Alltag. 

Wenn mir sexuelle Belästigung also in einem Hörsaal passiert, trau ich mich also vielleicht nicht mehr in meine LV, wodurch sich mein ganzes Studium verzögert.

Genau. Dadurch, dass mein Körper und meine Psyche es nicht mehr schaffen, dass ich zu gewissen Lehrveranstaltungen gehe, muss ich vielleicht Seminare in einem anderen Semester wiederholen. Ganz abgesehen von körperlichen Auswirkungen von sowas

„Bei Belästigung spielt immer ganz viel Macht und Dominanz mit hinein.“

Aber hier geht’s nicht nur um Catcalling, oder?

Nein, es können auch andere Formen der verbalen sexuellen Belästigung durch Vortragende sein. Und wenn niemand meiner Kommiliton*innen etwas dagegen sagt, weil man die eigene Performance vor den Vortragenden nicht beeinflussen will, dann zieh ich mich ja noch weiter zurück. Ich hab das Gefühl, ich bin alleine damit. Ich würd fast sagen, dass das im Uni-Kontext folgenschwerer ist, als im Alltag. Weil das etwas ist, mit dem ich an der Uni ständig konfrontiert bin. 

Warum ist es gerade so schwierig, wenn so etwas durch Vortragende passiert?

Bei Belästigung spielt immer ganz viel Macht und Dominanz mit hinein. Und bei Beziehungen, in der eine Hierarchie vorherrscht – Vortragende*r und Student*in zum Beispiel –, ist das gleich nochmal viel schlimmer. Hier ist die Hemmschwelle, falsches Verhalten anzukreiden, noch viel höher, weil Vortragende dich ja benoten. 

Wohin kann ich mich wenden, wenn mir so etwas passiert?

Im Uni-Kontext immer an den AKGL (den Arbeitskreis für Gleichberechtigungsfragen). Das geht auch anonym und vertraulich. Auch bei Sexismus in einer LV zum Beispiel. Generell ist es wichtig, so etwas nicht zu ignorieren. Immer die eigenen Gefühle wahrnehmen, reflektieren und – wenn man sich damit wohlfühlt – mit anderen darüber sprechen.

Die Hälfte der Studentinnen fühlt sich an der Uni belästigt.

Kann ich mich bei Belästigung unter Studierenden auch an den AKGL wenden? 

Man kann sich im Uni-Kontext immer an den AKGL wenden. Aber wenn Belästigung unter Studierenden passiert, kann man die Situation durch das andere Machtverhältnis vielleicht sofort klären und das Fehlverhalten sofort ansprechen. 

Ist sofort ansprechen eine gute Option?

Ja, wenn man die emotionalen Ressourcen hat. Man kann zum Beispiel sagen: “Das war falsch, wegen dem, dem und dem. Ich fühl mich damit nicht wohl.” Aber wie man darauf reagieren will, ist grundsätzlich sehr individuell.

Ich hab eine internationale Studie der Ruhr-Uni Bochum gefunden. Laut der fühlt sich mehr als die Hälfte der Studentinnen an der Uni belästigt.

Boah … 

Auch meine Reaktion … Wie kann’s dann trotzdem sein, dass das Thema immer noch nicht ernstgenommen wird?

Arge Studie … Man sollte ja eigentlich meinen, dass Menschen an einer Hochschule kompetent genug sind, um ein Bewusstsein dafür zu haben. Aber da die meisten Vortragenden männlich sind und da das Universitätssystem als Ganzes nur halb so gesellschaftlich fortschrittlich ist, wie man es sich wünschen würde, passieren auch Belästigungen. Vielleicht auch weil mehrere Generationen vertreten sind und weil das Thema Sexismus und sexuelle Belästigung lange totgeschwiegen und als lächerlich abgetan wurde. So ist die Akzeptanz für diese Themen dann auch geringer. 

„Wenn es zu einer Anzeige kommt, werden nur 10 Prozent dieser Anzeigen auch verurteilt.“

Die gleiche Studie besagt, dass zumindest 3,3% der Studentinnen an Hochschulen von sexueller Gewalt betroffen sind. Dein trauriges Nicken sagt mir, dass fühlt sich für dich realistisch an?

Ja … Mir wird richtig schlecht, wenn du so etwas sagst … 

Entschuldige … Warum kommt es so selten zu Anzeigen oder Beschwerden deshalb? Generell und besonders im Uni-Kontext.

Das ganze Thema ist stark schambehaftet und die Betroffenen suchen oft die Schuld bei sich selbst und können das Erlebte nicht ganz einordnen. Deshalb kommt es oft nicht zu einer Anzeige. Oft wird ihnen das auch von Täter*innen vermittelt, oder ihnen wird gedroht. Und selbst, wenn es zu einer Anzeige kommt, wird nur ein Bruchteil (rund 10 Prozent) dieser Anzeigen auch verurteilt. Da überlegt man sich als betroffene Person doch, ob man wirklich mit dem ganzen Shit leben will, der da mitschwingt.

Anna Majcan auf einem Chalk-Back-Event am Grazer Hauptplatz.
Anna Majcan auf einem Chalk-Back-Event am Grazer Hauptplatz. © Bernhard Schindler

Sehr oft geht es bei sexueller Belästigung und Gewalt ja um Frauen. Aber sind wirklich nur Frauen betroffen als Opfer?

Nein, deshalb sprech ich auch immer genderneutral. Überwiegend sind es FLINTA-Personen, aber das heißt nicht, dass nicht auch Cis-Männer davon betroffen sein können. 

Was kann man tun, um sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren?

Immer auf das eigene Bauchgefühl hören und wenn man sich sicher fühlt, sofort ansprechen und auf das Verhalten hinweisen. Wenn man die emotionalen Ressourcen hat, kann man ansprechen, warum das Verhalten nicht ok war. Wenn man sie nicht hat, kann man es aber auch ignorieren. Das ist auch ok. 

„Man kann sich von Studierenden erwarten, dass sie ein gewisses Wissen über Vorfälle mit sexualisierter Gewalt haben.“

Gibt es Strategien, wenn man unvorbereitet erwischt wird?

Das ist sowieso meistens der Fall. Wenn man am Campus sexuell belästigt wird, reißt einen das total aus dem Alltag. Zum Beispiel kann man die belästigende Person irritieren, indem man ein Tiergeräusch macht. Einfach, damit man eine Antwort hat, die auch das Gegenüber aus dem Konzept bringt.

Was wäre für dich die Verantwortung von Hochschulen, damit Studierende sich sicher fühlen können?

Es braucht ständige Informationskampagnen über sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und Sexismus im Allgemeinen. Man kann sich von Studierenden erwarten, dass sie ein gewisses Wissen über Vorfälle mit sexualisierter Gewalt haben. Sie sollen das einordnen können und wissen, was ok ist und was nicht. 

Können hier auch externe Gruppen wie Catcalls of Graz helfen?

Ja, aber es wäre wichtig, dass Hochschulen sie einladen, um das ganze Thema an die Uni zu bringen. Da sollte die Verantwortung nicht bei den NGOs und Vereinen liegen und es sollte vor allem keinen Widerstand haben. Wir bei Cat Calls of Graz hatten zum Beispiel im November auch ein Chalk-Back-Event an der Uni Graz. Hier gab es sehr viel Gegenwind und als wir es abhalten durften, ging es auch nur bei einer versteckten Stelle.

Was würdest du Leuten mitgeben, die das Thema als unwichtig abtun?

Ich versuche zu vermitteln, dass sie noch nie in der Rolle der Betroffenen waren, und aufzuzeigen, warum es nicht in Ordnung ist und warum die Betroffenen nicht selbst schuld an ihrer Situation sind. Und auf keinen Fall gebe ich das Gefühl, sie sind dumm oder unwissend. Weil wahrscheinlich wissen sie es einfach wirklich nicht. 

Und: In Ich-Botschaften sprechen. “Ich bin traurig, dass du das als unwichtig abtust, weil mir ist das Thema wichtig, weil ich solche Erfahrungen gemacht habe.” Wenn man da aggressiv wird, vergrößert das ja auch die Kluft zwischen Feminist*innen und Anti-Feminst*innen. Es geht aber nicht zwingend darum, einen Kompromiss zu finden, sondern darum Akzeptanz füreinander zu zeigen.

Eine letzte Frage: Wenn du ein Ding im Hochschulkontext machen könntest, um einen großen Impact zu erzeugen, was würdest du umsetzen?

Ich würde eine verpflichtende Lehrveranstaltung für alle Studierenden einführen, in der so etwas erklärt wird. Mit Anwesenheitspflicht. Wo auch die Geschichte erklärt wird, die zu den jetzigen Situationen geführt hat. Warum ist unsere aktuelle Situation schlecht für alle Menschen? Wie ist die Rechtslage? Nur so erreichst du auch Menschen, die sich noch nie damit beschäftigt haben.

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