Sexuelle Gewalt an Unis: Über 10 Prozent aller Studierenden betroffen

In den letzten zwölf Monaten wurden jede*r zehnte Studierende Opfer sexueller Gewalt. Zu diesem Resultat kam eine Umfrage der Bundes-ÖH. Wir schlüsseln die Ergebnisse für dich auf und geben mögliche Anlaufstellen.

Mehr als jede zehnte Person, die in Österreich studiert, hat an ihrer Hochschule sexuelle Gewalt erfahren. Und das nur innerhalb der letzten zwölf Monate. Zu diesem – erschreckenden aber nicht überraschenden – Ergebnis kam eine repräsentative Umfrage, deren Ergebnisse die Österreichische Hochschüler*innenschaft letzten Freitag präsentiert hat

Keya Baier aus dem Vorsitz-Team der ÖH erklärt die Intention der Umfrage: “ [Mit ihr] schaffen wir erstmals eine Datenlage, die uns zeigt, wie sexualisierte Gewalt im Hochschulkontext stattfindet und uns folglich eine Grundlage gibt, um Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt zu setzen. Und das war bitter nötig: Jede*r zehnte Studierende hat in den letzten 12 Monaten sexualisierte Gewalt an der Hochschule erlebt. Die Hochschulen sind jetzt gefordert, zu handeln!”

Wie oft widerfährt Studierenden sexuelle Gewalt?

Bevor jemand sagen kann, die Zahlen wären irgendwie künstlich aufgeblasen; die ÖH hat sich bei der Definition ihrer Fragestellung klar am Rechtstext orientiert. Laut der Aufteilung ihrer Umfrage schauen die genauen Ergebnisse so aus:

  1. 11,57 Prozent aller Studierenden wurden in den letzten 12 Monaten gemäß §6 des Gleichbehandlungsgesetzes (GlGB) sexuell belästigt. Dazu muss das Verhalten 1. unerwünscht gewesen sein, 2. die Würde der Person verletzt haben und 3. das Studium beeinträchtigt haben.
  2. 2,4 Prozent der Befragten erfuhren unerwünschte sexuelle Berührungen.
  3. Und 0,5 Prozent waren Opfer von “strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung” (§201 – §205a Strafgesetzbuch).

“Wenn wir die Zahlen aus der Umfrage hochrechnen, sehen wir, dass es jährlich zu knapp 44.000 Fällen von sexualisierter Gewalt aus den drei abgefragten Kategorien kommt”, fasst Sara Velić aus dem Vorsitz-Team zusammen. 

Wer sind die Betroffenen?

Hier stellt sich natürlich die Frage, wer besonders von sexueller Gewalt betroffen ist. Die Zahlen unterscheiden sich hierbei beim absoluten und relativen Wert. Nach absoluten Zahlen sind Frauen klar die größte Gruppe unter den betroffenen Studierenden. Und zwar nach allen drei Kategorien (Belästigung, Berührung, Handlungen). 

Trans, inter, nichtbinäre und agender Personen sind allerdings proportional wesentlich stärker betroffen. Ebenfalls wieder nach allen drei Kategorien. 

Das heißt aber übrigens nicht, das Cis-Männer nicht auch sexuelle Gewalt an Hochschulen erfahren haben. Das ist ein großes Thema, über das nicht genug gesprochen wird. Sie sind relativ gesehen nur am wenigsten stark von diesem Problem betroffen.

Wer sind die Täter*innen?

Fast genauso wichtig: Wer übt sexuelle Gewalt an Hochschulen aus? Die größte Gruppe hierbei sind laut den Zahlen andere Studierende. Das gilt vor allem bei sexuellen Handlungen und Berührungen. Die zweitgößte Gruppe ist allerdings schon jene des wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Personals der Hochschulen. Gerade bei sexueller Belästigung sind es 39 Prozent. 

Sprich: Mehr als ein Drittel aller Fälle von sexueller Belästigung an Hochschulen geht auf Vortragende, Profs oder anderes wissenschaftliches Personal zurück. Eine erschreckende Zahl, besonders wenn man im Kopf behält, welches Machtgefälle zwischen Vortragspersonen und Studierenden herrscht. 

Wie viele Vorfälle werden gemeldet?

Dieses Machtgefälle (neben diversen anderen Gründen) erklärt auch, warum mehr als 80 Prozent aller Fälle niemals bei einer zuständigen Stelle gemeldet werden. Nochmal zum Mitschreiben: Nur weniger als jede fünfte betroffene Person meldet einen Vorfall überhaupt bei einer zuständigen Stelle. Und wenn sich mal jemand meldet, dann sind die Personen sehr oft unzufrieden mit dem Unterstützungsangebot.

Wenn du dich fragst, wohin du dich in so einem Fall überhaupt wenden kannst, haben wir für dich schon im Frühjahr einige Stellen in allen größeren Uni-Städten gesammelt. Informier dich am besten darüber und teil dein Wissen vielleicht auch mit anderen Betroffenen. Hier sind die Stellen für:

Welche Effekte kann sexuelle Gewalt haben?

Egal, in welche der drei Kategorien aus der Umfrage ein Fall von sexueller Gewalt fällt, die Auswirkungen sind quasi immer dramatisch für die betroffene Person. Wir wollen hier keine definitiven Diagnosen aufstellen, können aber zumindest mit den Zahlen der ÖH dienen: 

Rund 22 Prozent aller Studierenden, die eine sexuelle Belästigung erleben, entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung. Bei unerwünschten sexuellen Handlungen sind es sogar 63 Prozent. Neben den massiven persönlichen Konsequenzen meiden diese Studierenden die Hochschule und brechen teilweise das Studium ab.

Wenn dir etwas passieren sollte, solltest du dich also auf jeden Fall an eine der oben genannten Stellen wenden, oder zumindest versuchen, mit einer Person, der du vertraust, über den Vorfall zu sprechen. Auch, wenn es sich vielleicht so anfühlt, ist diese Situation für dich kein Grund für Scham. Im Gegenteil. Wenn sich jemand für das Verhalten schämen sollte, dann die Person, die dir etwas angetan hat. 

Viele Hochschulen und Sudienvertretungen bieten Dienste mit vergünstigter psychologischer Beratung an, die dir durch eine schwere Situation helfen. Alternativ gibt es in der Studo-App den Mental Health Chat von Studo und Instahelp. Hier bekommst du bei der Erstberatung mit der Gutscheincode Studo10 10 Euro Rabatt und manche Hochschulen und STVs zahlen auch dafür. 

Nochmal zum Mitschreiben

Ein letzter Punkt noch, den du nie vergessen darfst. Bist du einer der 44.000 Fälle von sexueller Gewalt an Österreichs Hochschulen, dann ist das nicht deine Schuld. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden.

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